Air-Polishing-Systeme im Praxisalltag Haben Sie noch den Überblick?

Seit der Einführung der Pulver-Wasser-Strahl-Technik in die zahnärztliche Prophylaxe Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts hat sich diese Technologie rasant weiterentwickelt. Bis heute wurden – aus dem Pulververbrauch hochgerechnet – weltweit ca. 250.000.000 bis 300.000.000 Air-Polishing-Anwendungen durchgeführt.

* Der Autor erklärt, dass er als Referent für die Firma EMS tätig ist und dafür Honorare erhält.

Mit der Einführung von minimal abrasiven Pulvern (2004, 2011), die die Anwendungen von supragingival nach subgingival erweitert haben, sind auch neue Geräte und weitere Pulver auf den Markt gekommen. Neben dem technischen Fortschritt bei den Pulver-Wasser-Strahl-Geräten und Pulvern gibt es auch eine große Anzahl an wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit dem Thema Air-Polishing auseinandersetzen. Mit diesem Artikel versuchen die Autoren sowohl von der technischen als auch wissenschaftlichen Seite her, einen Überblick für die tägliche Arbeit in der Praxis mit der Pulver-Wasser-Strahl-Technik zu verschaffen.

Pulver-Wasser-Strahl- Technologie

Obwohl fast ein halbes Jahrhundert vergangen ist und Air-Polishing-Systeme eine weite Verbreitung haben, ist das Wissen um diese Technologie immer noch gering. Im Folgenden sollen einige Grundlagenkenntnisse zum besseren Verständnis dieser Technologie dargestellt werden.

Physik
Das Wirkprinzip der Pulver-Wasser-Strahl-Technik ist die Freisetzung kinetischer Energie. Das durch Druckluft beschleunigte Pulver und Wasser treffen auf die zu bearbeitenden Zahnsubstanzen. Die kinetische Energie (E = m * v2 / 2) hängt zum einen von der Beschleunigung ab, die wiederum vor allem vom Gasdruck (bar), von der Gasdichte (Luft) und der aerodynamischen Form der Körner bestimmt wird. Die andere physikalische Einflussgröße ist die Masse, die wesentlich durch die Korngröße, Partikelverteilung, den Agglomerationszustand und die Dichte des verwendeten Pulvers bestimmt wird. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass die für das sub- und supragingivale Biofilmmanagement notwendige Reinigungswirkung von der kinetischen Energie, den Pulvereigenschaften und der Arbeitstechnik (Geräte, Düsen, Aufprallwinkel) abhängt.

Chemie
„Pulver ist nicht gleich Pulver“ ist das vorweggenommene Fazit für die Pulver, die bei der Air-Polishing-Technologie zum Einsatz kommen. Neben dem Einsatzgebiet der Pulver, ob nur supragingival, nur subgingival oder sowohl supra- als auch subgingival, gibt es einige medizinisch fachliche und gesetzliche Voraussetzungen für deren Auswahl. Die wichtigsten Grundvoraussetzungen sind die Wasserlöslichkeit und Biokompatibilität (Abb. 1-3), die immer gewährleistet sein müssen. Die Pulver-Partikel und -Stoffe müssen durch die Löslichkeit leicht „abtransportiert“ werden können und was noch wichtiger ist, sie dürfen nicht in der Lunge verbleiben.

Weitere Voraussetzungen sind:
Gesundheitsverträglichkeit: Anwendung der Norm EN ISO 10993-1:2009; keine Sensibilisierung möglich; keine/geringe Zytotoxizität; keine/geringe Irritationen/Hautsensibilisierung; keine systemische Toxizität; keine Schäden an den Zähnen; keine Verstoffwechselung.

Zulassung als Medizinprodukt: „Medizinprodukt bezeichnet einen Gegenstand oder einen Stoff, der zu medizinisch-therapeutischen oder diagnostischen Zwecken für Menschen verwendet wird, wobei die bestimmungsgemäße Hauptwirkung im Unterschied zu Arzneimitteln primär nicht pharmakologisch, metabolisch oder immunologisch, sondern meist physikalisch oder physikochemisch erfolgt.“

Lebensmittelkonformität: Muss nicht gegeben sein, wenn man allerdings zugelassene Zusatzstoffe für Lebensmittel verwendet, ist bereits die Biokompatibilität abgeklärt.

Sonstige Kriterien: Geruchsfreiheit, guter Geschmack, geringe Staubentwicklung während der Behandlung, gute Relation von Reinigungswirkung zu Abrasivität, Riesel- und Fließfähigkeit, kontinuierlicher Volumen-/Massenstrom während der Behandlung, nicht hygroskopisch, Lagerstabilität, keine schädlichen Abbauprodukte durch Temperatur, UV und Zeit, pH-Wert zwischen 5 und 9, keine Kontamination (keine Verunreinigung durch Mikroorganismen oder schädliche Substanzen).

Geräte-Technik
Die Anforderungen an die Gerätetechnik sind ein konstanter Druck im gewünschten Bereich, eine konstante, kontinuierliche Luft-, Pulvermenge, die an der Düse austritt (Düse nicht zu groß und nicht zu klein), eine gleichmäßige Verwirbelung in der Pulverkammer (Korngröße, Pulverfließfähigkeit, Verstopfung), eine exakte Abstimmung von Wassermenge und Wasserdruck (Reinigungsleistung, Staubentwicklung), Pulver sowie Pulverfluss dürfen die Geräte (Innenleben) nicht beschädigen. Zusammengefasst heißt das, dass Geräte und Pulver exakt abgestimmt sein müssen.

Bei der Gerätetechnik muss grundsätzlich zwischen „Tischgeräten“, die selbstständige Einheiten sind, und „Handys“, die auf Turbinenanschlüsse aufgesetzt werden, unterschieden werden. Die oben angeführten Anforderungen können weitgehend nur von sogenannten „Tischgeräten“ erfüllt werden. „Handys“ haben keine interne Druckregulierung, kleine Kammern mit schlechterer Verwirbelung sind unergonomischer (liegen schwerer in der Hand als Handstücke), der Zugang zu schwierigen Arealen ist nur bedingt möglich, eine geringe Pulvermenge macht ein häufiges Nachfüllen notwendig und der Pulverwechsel ist erschwert.

Anwender
Der Anwender spielt auch bei Pulver-Wasser-Strahl-Technik eine entscheidende Rolle. Die wichtigsten Eigenschaften und die davon abhängigen Indikationen der Pulver müssen beherrscht werden. Nicht nur die Pulver, sondern auch die Arbeitstechnik (Abstand der Düse, Bewegung und Anstellwinkel der Düse, die Verweilzeit pro bearbeitete Stelle, der Druck – so gering wie möglich, so hoch wie nötig – und die Wassermenge) sind wichtig für eine gute Reinigungswirkung und geringe Abrasion.

Literatur
Supragingivales Biofilmmanagement

Mit der Pulver-Wasser-Strahl-Technik lassen sich supragingivale Beläge und Verfärbungen viel besser und schneller entfernen als durch klassische Politur mit rotierenden Instrumenten, Polierbürsten, Gummikelchen und Polierpasten (Rubber Cup Polishing-RCP) (1, 2, 3, 4). Beim Vergleich zwischen klassischer Politur und Air-Polishing liegen alle Nachteile bei der RCP:

Unvollständige Biofilmentfernung im Sulcus, in Fissuren, in Grübchen, bei Implantaten, im Zahnzwischenraum, bei Engständen, während festsitzender KFO-Behandlungen.

Subgingivale Biofilmentfernung ist nicht möglich.

Schmerzen bei Verletzung der Gingiva.

Hitzeentwicklung bei inkorrekter Anwendung.

Viele verschiedene Hilfsmittel sind notwendig.

Subgingivales Biofilmmanagement
Die Literatur zur Pulver-Wasser-Strahl-Technik mit minimal abrasiven Pulvern beim subgingivalen Biofilmmanagement gegenüber Hand- und Ultraschallinstrumenten zeigt die Vorteile dieser neuen Technologie eindrücklich (5-21):

Die klinischen Ergebnisse (BOP, PD, CAL) waren bei Air-Polishing, Ultraschall-Debridement oder Debridement mit Handinstrumenten nicht erheblich abweichend.

In flachen und mitteltiefen Taschen wird Biofilm wirksamer entfernt als mit Küretten.

Die Anwendung eines gering abrasiven Pulvers führt zu einer signifikant größeren Reduktion der subgingivalen Bakterienmenge als bei Hand- und Ultraschallinstrumenten. Die Rekolonisation durch Bakterien erfolgt wesentlich langsamer.

Air-Polishing wird von Behandler und Patienten als wesentlich komfortabler im Vergleich zu Schall-Ultraschallgeräten oder Handinstrumentierung wahrgenommen.

Air-Polishing verglichen mit subgingivalem Debridement durch Handoder Schall-, Ultraschallinstrumente benötigt weniger Zeit.

Air-Polishing führt zu keinen Verletzungen am Zahnfleisch.

Subgingivales und supragingivales Biofilmmanagement mit Air-Polishing zeigt auf Schmelz und Dentin keinen, auf Wurzelzement den geringsten Substanzverlust.

Auf Komposit zeigen Glycin- und Erythritol-Pulver ebenfalls keine Veränderung der Oberflächenstruktur. Auf Glas-Ionomer-Zement führte nur die Anwendung von Erythritol-Pulver zu keinen Oberflächenveränderungen.

Die Effektivität zur Entfernung des Biofilms auf Implantat-Oberflächen ist ebenfalls gleichwertig bis deutlich besser gegenüber konventionellen Methoden.

Die neuen Erkenntnisse zur Ätiologie der parodontalen Erkrankungen und der Bedeutung von Biofilm für die parodontalen Erkrankungen sowie die technische Weiterentwicklung machen ein Umdenken beim supragingivalen wie auch subgingivalen Biofilmmanagement notwendig. Die Indikationen für die Anwendung von Pulver-Wasser-Strahl-Technologie wurde durch die Entwicklung neuer minimalabrasiver, substanzschonender Pulver auf Glycin- oder Erythritol-Basis in den vergangenen Jahren vom supragingivalen Air-Polishing auf das subgingivale Air-Polishing ausgeweitet. Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass die Pulver-Wasser-Strahl-Technik (Air-Polishing) heute der Goldstandard im Biofilmmanagement ist. Die Vorteile dieser Technologie liegen auf der Hand: schneller, sicherer, komfortabler für Patienten und Behandler und keine Schädigung von Zahnhartsubstanzen, Weichgewebe und Restaurationen.

Damit diese wesentlichen Vorteile dieser modernen Technologie voll zum Tragen kommen, ist es notwendig, sich mit den physikalischen, chemischen, gerätetechnischen Grundlagen, der Literatur und einer korrekten Anwendung auseinanderzusetzen.

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