Raucher bezahlen ihr Laster auch mit ihren Zähnen – viel zu häufig sogar mit ihrem Leben

Im Jahre 2020 konsumierte jede erwachsene Person in Deutschland im statistischen Schnitt 1.033 Zigaretten. Rund 75.500 Menschen sind 2020 an den Folgen einer raucherspezifischen Erkrankung gestorben.

Bei 46.100 Menschen war Lungen- und Bronchial-, Kehlkopf- oder Luftröhrenkrebs die Todesursache, bei 29.400 eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). 375.200 Patienten wurden wegen entsprechender Diagnosen in Kliniken behandelt (1). Auch Raucher kennen diese bedrückenden Zahlen und wissen, dass nur ein Rauchstopp hilft, sie zu reduzieren. Für diejenigen, die aufhören wollen, es aber alleine nicht schaffen, bietet das Programm „Tobacco Harm Reduction (THR – Tabakschadenminderung)“ (2) eine mögliche Unterstützung. In der THR-Methode sehen zwei Leipziger Zahnmediziner eine echte Chance, um Rauchern zu helfen, Nichtraucher zu werden.

Insgesamt erkranken in Deutschland pro Jahr mehr als 10.000 Menschen an Mundhöhlenkrebs. Etwa fünf Prozent aller bösartigen Tumore betreffen die Mundhöhle. Bei Männern ist Mundhöhlenkrebs
sogar die siebthäufigste Krebsart, zunehmend sind aber auch Frauen betroffen. Raucher haben ein vier- bis sechsfach erhöhtes Risiko, eine Parodontitis zu entwickeln (3).

Rauchen kann die Körperzellen schädigen und ist ein wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung von Leukoplakien, von weißen, nicht abwischbaren Flecken der Mundschleimhaut. Eine Leukoplakie kann eine Vorstufe von Mundhöhlenkrebs sein. Ein Rauchstopp wirkt sich in vielerlei Hinsicht positiv auf die Gesundheit aus.

Rauchen und Alkohol wichtigste Risikofaktoren

Mit einem Anteil von 95 Prozent handelt es sich bei den bösartigen Tumoren der Mundhöhle um eine Krebserkrankung der Mundschleimhaut, das sogenannte orale Plattenepithelkarzinom. Rauchen und Alkoholkonsum sind die wichtigsten Risikofaktoren. So haben Raucher ein rund sechsfach erhöhtes Risiko für eine Krebserkrankung in der Mundhöhle gegenüber Nichtrauchern. Eine Kombination aus Rauchen und Alkoholkonsum wirkt sich besonders ungünstig aus und lässt das Risiko für Krebs auf das 30-Fache ansteigen. „Je mehr und je länger jemand geraucht oder regelmäßig Alkohol getrunken hat, desto höher ist das Risiko, dass sich ein bösartiger Tumor der Mundschleimhaut entwickelt“, erklärt Prof. Dr. Dr. Norbert Kübler, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie an der Universität Düsseldorf (3).

Rauchen schädigt die Gefäße von Kopf bis Fuß

„Rauchen verursacht nicht nur Krebs, sondern schädigt das ganze Gefäßsystem von Kopf bis Fuß“, betont Prof. Dr. Sabine Wipper, Klinikdirektorin der Universitäts-Klinik für Gefäßchirurgie in Innsbruck (Österreich). „Die Giftstoffe von Zigaretten schädigen das Endothel, die Innenschicht der Gefäße. Das wiederum begünstigt Ablagerungen (Atherosklerose), die zu Engstellen oder Verschlüssen an den Gefäßen führen können. Eine Engstelle an der Halsschlagader kann beispielsweise Schlaganfälle auslösen. Rauchen begünstigt aber auch die Ausbildung von Erweiterungen von Gefäßen, sogenannte Aneurysmen, die in Brust, Bauch und den Beckengefäßen vorkommen können.“(4)

THR – unterstützt bei der Entwöhnung

Von einem Tag auf den anderen mit dem Rauchen aufzuhören – das schaffen die wenigsten. Mit Tobacco Harm Reduction (THR – Tabakschadenminderung) wird in der Medizin ein neues Konzept diskutiert: Im Mittelpunkt steht dabei, nicht gleich sämtliche Tabakwaren zu verdammen, sondern die durch das Rauchen entstehenden Gesundheitsrisiken zu reduzieren und den Raucher langsam bei der Entwöhnung zu unterstützen.

Wie auch Prof. Dr. Dirk Ziebolz, Oberarzt für Interdisziplinäre Zahnerhaltung und Versorgungsforschung der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Universitätsklinikum Leipzig (UKL), sagt, haben Raucher neben einem erhöhten Risiko für Oraltumoren auch ein erhöhtes Risiko für schwere Formen der Parodontitis, die letztlich zum Zahnverlust führen kann. „Das wissen die Raucher meist selbst, aber nicht jeder Patient kann zum absoluten Rauchstopp bewegt werden. Deshalb ist das THR-Konzept durchaus interessant. Denn dabei geht es um die Entwicklung von alternativen Optionen, um die Minimierung negativer gesundheitlicher Folgen des Tabakkonsums, ohne zwingend vollkommen auf den Genuss von Nikotin verzichten zu müssen. Erwachsene Raucher, die ansonsten weiter rauchen würden, werden also für einen Umstieg auf potenziell weniger schädliche Produkte motiviert.

Sein Kollege, PD Dr. Gerhard Schmalz, Oberarzt für Oral Health Medicine an der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, verweist darauf, dass Rauchen nicht nur Parodontitis beeinflusst, sondern sich auch negativ auf eine Periimplantitis auswirken kann. „Im Zahnbett beeinflusst Nikotin den Zellstoffwechsel, die Entstehung neuer Blutgefäße und die bakterielle Biofilm-Zusammensetzung. Somit tritt bei Rauchern, sowohl bei Verbrennungs- als auch E-Zigaretten, eine frühe Kolonisation mit potenziell krankheitserregenden Mikroorganismen auf. Deshalb zählt das Erreichen eines Rauchstopps zu einer Kernaufgabe in der parodontalen Therapie.“

Ein Vergleich der E-Zigarette mit der herkömmlichen Verbrennungszigarette zeigt interessanterweise, dass sie insgesamt weniger schädlich für die orale Gesundheit sein kann. Auch das Ansprechen auf die Therapie sollte beim E-Zigaretten-Nutzer besser sein als beim gewöhnlichen Raucher; hierzu fehlen jedoch bisher belastbare wissenschaftliche Daten. Daher ist es aus Sicht der Leipziger Experten für orale Medizin und Prävention durchaus sinnvoll, Patienten, die ansonsten weiter rauchen würden, auf dem Weg zum Rauchstopp auch mit potenziell weniger schädlichen Alternativen zu unterstützen.

„Natürlich bleibt das oberste Ziel definitiv der vollständige Rauchstopp“, so PD Dr. Schmalz und Prof. Ziebolz. „Dennoch plädieren wir dafür, Patienten mit niedrigschwelligen Alternativen einen Ausweg aus dem Rauchen anzubieten, den sie auch leisten könnten.“ Somit sehen sie den vollständigen Umstieg auf Alternativen zur Verbrennungszigarette wie die E-Zigarette oder Tabakerhitzer als eine mögliche Brücke auf dem Weg zum kompletten Ausstieg aus dem Zigaretten- und Nikotinkonsum. Um den nachhaltigen Nutzen alternativer Nikotinprodukte bei Parodontitis-Patienten zu beweisen, brauche es jedoch prospektive, randomisierte klinische Studien.

Rauchfrei-Angebot für UKL-Patienten 

Seit dem vergangenen Jahr können Patienten am UKL ihre Therapien gleich mit einer Tabakentwöhnung verbinden: Unter dem Motto „Gemeinsam rauchfrei“ bietet das Klinikum mit dem Rauchfrei-Programm interessierten ambulanten und stationären Patienten Unterstützung beim Abschied von der Zigarette. Zwei Gruppen haben bereits den siebenwöchigen Kurs abgeschlossen, ein Drittel davon mit einem erfolgreichen dauerhaften Rauchstopp. „Das entspricht den Erfahrungswerten mit solchen Tabakentwöhnungsprogrammen“, berichtet Dr. Katja Leuteritz. Die psychologische Psychotherapeutin betreut das Rauchfrei-Angebot in Leipzig.

Literaturverzeichnis:

1. Statistisches Bundesamt, Veröffentlichung vom 30.05.2022. 2. Stöver H, Hering T, Hamin D, Storck M. et al. Neue Wege zur Eindämmung des Rauchens: Tabakkonsum & Schadensminderung („Tobacco Harm Reduction“), Positionspapier von Wissenschaftlern und Ärzten. 2020. 3. Initiative ProDente e. V. Köln: Medien-Information vom 25.05.2022. 4. Medizinische Universität Innsbruck. Presse-Information vom 24.05.2022.