Schmerz – Warum es wehtut (Teil 2)

Wie Musik und Bewegung Schmerzen lindern - und viele weitere positive Nebeneffekte erzielen.

Hier geht es zum ersten Teil.

Mit Musik und Sport gegen die Angst

Wie entscheidend allein die Erwartung beim Umgang mit Schmerz ist, weiß auch Lydia Schneider. Die Doktorandin beschäftigt sich damit, wie die Angst vor Schmerzen die Motivation beeinflusst, sich bewegen zu wollen. „Patienten, die an chronischen Schmerzen leiden, gehen in eine Situation mit einer klaren Vorstellung davon, was schmerzhaft sein wird“, erklärt sie. „Sie haben Angst, dass beim Bewegen das Leiden noch schlimmer wird.“ Den Betroffenen fehlt auch deshalb häufig der Antrieb, sich körperlich zu betätigen.

Das ist jedoch fatal. Denn, so die Erkenntnis zahlreicher Studien, Bewegung ist eines der wichtigsten Mittel gegen chronische Schmerzen, etwa dauerhaften Rückenschmerz. Schneider sucht daher nach Wegen, wie sich diese Angst senken lässt – und setzt dabei auf das sogenannte Jymmin, einem am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) entwickelten Mix aus Sport und freiem musikalischem Improvisieren (jammin).

Beim Jymmin werden Bewegungen an Fitnessgeräten empfangen und in musikalische Klänge übersetzt. So entstehen durch unterschiedlich starke Muskelkraft und Bewegungen verschiedene Töne; die Teilnehmer können die Geräte wie Musikinstrumente spielen. Eine Kompositionssoftware verarbeitet die Bewegung so, dass daraus eine für jeden Teilnehmer und jede Trainingseinheit individuelle Begleitmusik entsteht. Man wird damit zu Komponisten, die Geräte zu ihren Instrumenten.

Mit Jimmin erzeugt der Körper Musik

Bei gesunden Personen, so eine frühere Studie der Arbeitsgruppe, verändert die Fitnessmethode die Schmerzwahrnehmung. Sie erhöht die Schmerzschwelle und macht die Teilnehmer so weniger empfindlich gegenüber körperlichen Qualen. Die Folge: Nach dem Jymmin konnten sie in einem Schmerztest deutlich höhere Werte ertragen als bei einem herkömmlichen Training, bei dem die Musik passiv aus den Boxen schallte.

Unklar war jedoch bislang, ob sich das auch auf Schmerzpatienten übertragen lässt. Ist Jymmin womöglich eine Methode, um ihnen die Furcht vor Bewegung zu nehmen, selbst wenn diese sehr groß ist? Der Test zeigte: Es wirkt tatsächlich. Vor allem bei denen, die besonders große Angst vor der Betätigung hatten. Bei ihnen senkte das Jymmin die Angst stärker als bei denen, die weniger ängstlich waren. Ein möglicher Grund: Die Betroffenen lenkten ihre Aufmerksamkeit gezielt auf etwas anderes als die Qual, die sonst einen großen Raum in ihrem Leben einnimmt, vermutet Schneider. „Man konzentriert sich plötzlich darauf, dass der eigene Körper Musik erzeugt.“ Das stärke gleichzeitig das Gefühl, Dinge selbst beeinflussen zu können. Diese sogenannte Selbstwirksamkeit steigere generell das Wohlbefinden, bei Schmerzpatienten sei der Effekt besonders stark. Bei ihnen, so die Neurowissenschaftlerin, spielt die Angst vor Kontrollverlust eine enorme Rolle. Das Jymmin wirke dem entgegen. „Plötzlich hat der Patient wieder das Gefühl, Dinge beeinflussen zu können, also selbstwirksam zu sein.“

Auch Gefühle beeinflussen Schmerzen

Doch nicht nur die Erwartungen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung von Schmerzen, sondern auch die Emotionen. Ärger, vor allem unterdrückter, intensiviert das Leid. Ein Zustand, der bei Schmerzpatienten besonders häufig auftritt. Das ständige Leiden und die damit verbundenen Einschränkungen im Alltag frustrieren. Frauen sind davon häufiger betroffen als Männer. Schneider wollte daher herausfinden, wie sich unterschiedliche Stimmungen in der Musik auf das Schmerzempfinden von Frauen auswirken. Die Idee dahinter: Lässt sich womöglich die schmerzlindernde Wirkung von Musik steigern, wenn man dabei den Stil produziert, der der eigenen Stimmung gerade entspricht? Aus einer früheren Studie mit Metall-Musik wusste man, es sind vor allem aggressive Lieder, die Wut in Luft auflösen können.

Und tatsächlich deutet sich an: „Hört man sich nach provozierter Wut aggressive Musik an, steigt die Schmerztoleranz, bei fröhlicher dagegen nicht“, so Schneider über die vorläufigen Ergebnisse. Grund dafür könnte die emotionale Übereinstimmung zwischen dem Gehörten und dem eigenen Empfinden sein, die wohltuend wirken könne. „Bei Ärger ist es besonders wichtig, ihn auch ausdrücken zu können, sonst staut er sich auf und beeinflusst langfristig den Körper und dessen Schmerzempfinden.“ Durch die Musik könne dem eigenen Gefühl Ausdruck verliehen werden, ohne selbst Aggressionen auszuüben.

Aggressive klassische Musik

Für ihre Untersuchungen nutzte die Wissenschaftlerin jedoch nicht Metall, sondern Klassik. Sie wählte klassische Stücke, die zwar gleich stark anregten und ähnliche Instrumente nutzten, sich aber in ihrer Stimmung unterschieden – aggressive und fröhliche Musikstücke. So wollte sie sicherstellen, dass sich Reaktionen der Patienten besser miteinander vergleichen lassen. „Natürlich spielt auch der Musikgeschmack der Person eine Rolle.“

Den Ärger erfasste sie anhand eines standardisierten Fragebogens, dem sogenannten Spielberger Ärgerinventar. Der analysiert anhand einzelner Fragen, wie viel Wut generell in einer Person steckt, aber auch, wie stark sie im Moment aufgebracht ist. „Ein Problem ist jedoch, dass die soziale Erwünschtheit hier stark mit reinspielt. Gerade Frauen geben oft nicht an, wie stark sie sich eigentlich über etwas ärgern“, erzählt Schneider. Hier liege eine der Herausforderungen in den Untersuchungen. Nur wenn man wisse, wie stark jemand wirklich in Rage ist, kann man das mit Effekten verschiedener Stimmungen in der Musik in Verbindung bringen. Daher, so Schneider, werten wir auch gerade die körperlichen Signale unserer Studienteilnehmer aus, etwa die sogenannte Herzratenvariabilität. Auch sie hofft, ähnlich wie Eippert, letztlich mit ihrer Forschung Betroffenen helfen zu können. „Weiß man mehr darüber, wie Musik und Bewegung Schmerzen lindern, lassen sich womöglich viele Medikamente ersetzen – und gleichzeitig viele weitere positive Nebeneffekte erzielen.“

Quelle: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS)